Böhmermann Kritik: Wie sich die Marktforschungsbranche ändern muss
Appinio Research · 09.08.2022 · 6min Lesezeit
Inhalt
Der Satiriker Jan Böhmermann ist mit seiner öffentlich-rechtlichen Sendung „ZDF Magazin Royale“ und seinem investigativen Journalismus berühmt-berüchtigt dafür, komplexe Probleme zu erfassen, Missstände aufzudecken und in einem informativ-unterhaltsamen Format aufzubereiten. So auch bei der Sendung vom 13. Mai 2022. Sie trägt den Titel „SCHOCK: Das denkt Deutschland über Meinungsforschung“ und wirft einen kritischen Blick auf die Marktforschungsbranche in Deutschland. Dabei bezieht er immer wieder das Publikum ein, die in diversen – alles andere als seriösen – Umfragen live abstimmen können. Böhmermann spricht ein paar berechtigte Punkte und Probleme in der deutschen Marktforschungsbranche an, etwa die Macht von Suggestivfragen oder die vermeintliche Unabhängigkeit und Überparteilichkeit großer Institute.
In vielen Punkten hat Jan Böhmermann recht. Aber nicht alles, was im knapp 22-minütigen Beitrag kritisiert wird, stimmt so auch. Wir werfen einen Blick auf seine Argumente und Informationen und sagen, wie sich die Marktforschungsbranche ändern muss.
Diese fünf Punkte kritisiert Jan Böhmermann an der Marktforschungsbranche
Suggestivfragen beeinflussen Teilnehmer
In typisch witziger Jan Böhmermann-Manier wird demonstriert, wie das Ergebnis einer Spaß-Umfrage je nach Fragestellung komplett anders ausfallen kann – obwohl die Frage inhaltlich gleich bleibt, aber sprachlich anders gestellt wird. Das zeigt auf, dass allein die Formulierung der Fragestellung Einfluss auf das Ergebnis haben kann. Wer die Fragen nicht möglichst objektiv und wertefrei formuliert, lenkt die Befragten möglicherweise in eine bestimmte Richtung. Ein passendes Beispiel in der Sendung ist eine Umfrage der BILD-Zeitung zu Annalena Baerbocks möglicher Kanzlerschaft. Die Formulierung „Ich habe Angst davor, dass mit Annalena Baerbock eine Grüne Kanzlerin werden könnte“ ist eine klare Suggestivfrage, dadurch können sich „Medien und Institute so ziemlich jede Meinung herbeiziehen.
Politik wird auf Basis von Umfragen betrieben
„Gute Umfragen beflügeln Politiker, schlechte Umfragen sind der Ansporn, eine neue Umfrage bei einem anderen Institut in Auftrag zu geben.“
Der Vorwurf ist klar: Anstatt die eigene Politik zu ändern, wird die Umfrage so lange geändert, bis der Anschein entsteht, dass die politische Leistung in der Gesellschaft akzeptiert wird. Angela Merkel war bekannt dafür, dass sie als Bundeskanzlerin regelmäßig Umfragen in Auftrag gegeben hat, deren Ergebnisse Einfluss auf ihre Entscheidung gehabt haben sollen.
Doch Jan Böhmermann hält fest: „Meinungsforschung misst keine Meinung, sondern die Laune". Umfragen zum Wahlverhalten der Deutschen stellen immer nur eine Momentaufnahme dar und können unter Umständen (nämlich dann, wenn sie methodisch nicht korrekt umgesetzt werden) von der Realität abweichen können. Als weiteres Beispiel zieht er Sebastian Kurz heran: Beim ehemaligen Bundeskanzler von Österreich steht der Verdacht im Raum, er habe mit Steuergeldern wohlwollende Berichterstattung für sich gekauft – inklusive gefälschter Umfragen. Ein Mittel, um seine politischen Entscheidungen mittels der Medien in der Öffentlichkeit zu legitimieren. Das ist aber natürlich in erster Linie ein Problem der Medien und keines der Markt- und Medienforschung.
Veraltete Technik für Befragungen
Der Politologe Thorsten Faas (FU Berlin) greift im Gespräch mit Böhmermann den Punkt auf, dass manche Institute ihre Meinungsumfragen noch per Festnetztelefon umsetzen. Das grenze systematisch all jene aus, die nicht mehr per Festnetz erreichbar sind – vor allem junge Menschen. Und wenn „immer weniger Menschen an Oldschool-Meinungsumfragen per Festnetz teilnehmen, was machen die Institute dann?“ Die notwendigen Maßnahmen sind klar. Verstärkt auf Medien setzen, die von den Panelisten auch wirklich genutzt werden, wie beispielsweise das Internet oder auch Smartphone Apps wie Appinio. Wichtig dabei: Methoden wie das sogenannte River Sampling sollten vermieden werden, um eine Verzerrung der Daten zu vermeiden. Beim River Sampling werden Nutzer nämlich einfach "eingesammelt" ohne zu wissen, welche demographischen Merkmale diese Person mit sich bringt. Dadurch ist die Repräsentativität nicht mehr gewährleistet und es kann zu verzerrten Ergebnissen kommen.
Undurchsichtige Erhebungsmethoden
Die Sendung greift den Punkt auf, dass die Marktforschungsbranche und dessen Institute ungern über ihre Erhebungsmethoden sprechen, da sie eine Art Betriebsgeheimnis sind. „Wenn sie ihre Methoden nicht offenlegen, wie soll man dann den Ergebnissen trauen?“ stellt Jan Böhmermann eine berechtigte Frage – und demonstriert gleichzeitig in seiner Spaß-Umfrage mit seinen Zuschauern, dass diese Ergebnisse genauso vertrauenswürdig wären wie eine professionelle Umfrage eines Institutes.
Er fasst zusammen: „Medien und Institute können sich mit ihren Umfragen so ziemlich jede Meinung herbeiziehen, die sie haben wollen. Dank der Diagramme, Balken und Prozentangaben wirkt das viel seriöser und faktenbasiert als eine ausgedachte Meinung.“
An dieser Stelle ist aber auch noch einmal deutlich zu sagen, dass Marktforschungsinstitute grundsätzlich vertrauenswürdig sind und auch ein berechtigtes Interesse an hochwertigen und korrekten Daten und Zahlen haben. Allerdings müssen klare Grenzen ausgestaltet und offen kommuniziert werden, wenn es um Methodik und Umsetzbarkeit geht, um qualitativ minderwertigen oder verzerrten Daten entgegenzuwirken.
Interessenkonflikte bei Marktforschungsinstituten
Marktforschungsinstitute müssen unabhängig und überparteilich arbeiten, um möglichst objektive und vertrauenswürdige Daten abzuliefern. Doch können Ersteller von Umfragen komplett objektiv sein, wo doch jeder seine eigenen Einstellungen hat? Diese berechtigte Frage untermauert Böhmermann mit dem Beispiel Forsa.
Manfred Güllner, Gründer und Geschäftsführer von Forsa, ist bekanntes SPD-Mitglied und war Berater von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Das legt den Verdacht nahe, dass Umfragen auch politisch gefärbt sein können. Ein anderes Beispiel sei Hermann Binkert, Chef des Marktforschungsunternehmen INSA. INSA präsentiert sich als überparteilich, aber INSA und INSA-Chef Binkert spenden der AfD Geld und sind Medienpartner der BILD-Zeitung – ist das Institut dann noch unabhängig?
So sieht die Marktforschungsbranche im 21. Jahrhundert aus
Aber was wird denn jetzt getan, um den Vorwürfen von Böhmermann etwas entgegen zu setzen? Nun, bei Appinio setzen wir vor allem auf eines: Wir nutzen den Kanal für Marktforschung, auf dem die Konsumenten sowieso unterwegs sind: Das Smartphone. Der Fokus liegt dabei aber eher auf Smart, statt auf Phone, denn es werden keine Telefon-Umfragen durchgeführt, sondern per App mit einem Gamification Ansatz.
Die Befragten geben ihre Antworten ganz ungestört ab und werden nach Abschluss mit Appinio Coins oder Badges belohnt. Dadurch lässt sich auch die Datenqualität steigern, denn durch den spielerischen Ansatz, steigt die intrinsische Motivation. Außerdem wird dadurch vermieden, dass das Panel gefüllt wird mit Teilnehmern, die das Beantworten von Umfragen als eine Art Nebenjob sehen.
Als weiterer Kontrollmechanismus für eine hohe Datenqualität haben sich zudem Kontrollfragen etabliert. Diese, zumeist simplen, Fragen prüfen, wie aufmerksam Panelisten die Fragen beantworten. Wer diese falsch beantwortet, wird ausgeschlossen. Zudem haben wir in unserer App eine Speed Control eingerichtet. Diese überprüft mithilfe von Durchschnittswerten, wie lang ein Teilnehmer im Schnitt für die Beantwortung der Fragen benötigt. Ist er zu schnell, werden die Daten nochmals kontrolliert, um auszuschließen, dass der Teilnehmer lediglich zufällig geantwortet hat.
Und zu guter Letzt: Im Analyser, dem interaktiven Auswertungs-Dashboard, gibt es volle Datentransparenz.
Fazit — Berechtigte Kritik, aber die Marktforschungsbranche ist im Umschwung
Der Satiriker Jan Böhmermann hat mit seiner Sendung über deutsche Marktforschung einen wunden Punkt getroffen und berechtigte Kritik angebracht. Teils veraltete Befragungsformate, undurchsichtige Erhebungsmethoden, beeinflussende Suggestivfragen oder vermeintliche Objektivität von Instituten trotz Interessenkonflikten – die Liste des ZDF Magazin Royale mit Vorwürfen an die Marktforschungsbranche ist lang.
Böhmermann trifft damit zwar einen Nerv, jedoch stimmt nicht alles, was in der Sendung thematisiert wird.
Denn die moderne Marktforschungsbranche ist anders aufgestellt: Statt einer Telefon- oder Online-Umfrage sind Umfragen per Smartphone-App nicht nur viel zeitgemäßer, sondern auch präziser, da sich Antworten und Ergebnisse viel besser und zielgerichteter filtern und auswerten lassen.
Zwar sind politische Meinungsumfragen in erster Linie Momentaufnahmen, dennoch können solche Stimmungsbilder dank moderner Marktforschung in Echtzeit analysiert und ausgewertet werden. Zielgerichtete Filtermöglichkeiten helfen dabei, präzise und zuverlässige Daten mit Relevanz zu liefern.
Dadurch verpufft die Kritik von Jan Böhmermann zwar nicht, doch Marktforschungsinstitute wie Appinio zeigen, wie moderne Marktforschung aus dem 21. Jahrhundert aussehen und erfolgreich sein kann.
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