Junge Generation stimmt für ein verpflichtendes soziales Jahr
Appinio Research · 14.08.2018 · 7min Lesezeit
Inhalt
Sollten junge Menschen verpflichtet sein, einen „Dienst für die Gesellschaft“ zu leisten? Und wenn ja, in welcher Form?
Darüber diskutiert ganz Deutschland, nachdem Anfang August 2018 von Teilen der Union der Vorschlag gemacht wurde, ein „Gesellschaftsjahr“ einzuführen. Dieses soll junge Erwachsene nach der (Schul-)Ausbildung dazu verpflichten, sich entweder bei der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen zu engagieren. Die Marktforschungsplattform Appinio hat direkt bei der betroffenen jungen Generation nachgefragt, was sie von der Debatte halten und wie sie generell zu Bundeswehr und sozialem Engagement stehen. Insgesamt haben 2.105 Bundesbürger zwischen 16 und 35 Jahren teilgenommen.
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Insbesondere zwischen den Parteien herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Wiedereinführung von Wehrpflicht und Zivildienst den „Zusammenhalt im Land stärken“ würde (Union) oder aber ein „Zurück ins letzte Jahrhundert“ (Linke) wäre. In der Debatte werden auch weitere „Dienstpflicht“-Modelle diskutiert, wie ein verpflichtendes soziales Jahr für junge Erwachsene. Auffällig ist, dass vor allem Vertreter der älteren Generation die Meinungsführerschaft in der Debatte einnehmen, während die junge Generation, die von solchen Maßnahmen direkt betroffen wäre, weniger zu Wort kommt. Deshalb hat Appinio eine Umfrage per Smartphone unter jungen Deutschen durchgeführt.
Junge Generation hat neutrale Meinung zur Bundeswehr
Um einen ersten Eindruck zu bekommen, ohne direkt über die aktuelle Debatte zu sprechen, wurde zuerst die allgemeine Einstellung gegenüber der Bundeswehr abgefragt. Insgesamt haben die 2.105 Befragten ein eher neutrales Bild von der deutschen Bundeswehr. 47 Prozent haben eine neutrale Meinung, während 26 Prozent eher oder sehr positiv und 27 Prozent eher oder sehr negativ der Bundeswehr gegenüber gesinnt sind. Interessant ist, dass Frauen eher eine neutrale Position einnehmen im Gegensatz zu Männern, die sich deutlicher zu Bundeswehr, entweder positiv oder negativ, positionieren. Unterschiede zeigen sich zudem nicht nur beim Geschlecht, sondern auch bei der politischen Orientierung: Während Sympathisanten der Unions-Parteien der Bundeswehr eher positiv gegenüberstehen, lässt sich bei Anhängern von SPD, Linken und Grünen eher eine ablehnende Haltung erkennen.
Mehrheit der jungen Generation wünscht sich verpflichtendes soziales Jahr
Im nächsten Schritt wurden drei verschiedene Modelle für die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres für junge Erwachsene einzeln und im direkten Vergleich zueinander bewertet: (1) die Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. des Zivildienstes NUR für Männer, (2) das Gesellschaftsjahr, d.h. Wehrpflicht bzw. Zivildienst für Männer UND Frauen sowie (3) ein verpflichtendes, soziales Jahr für beide Geschlechter. Als Überblick hier die jeweilige Zustimmung zu den drei Vorschlägen auf die Frage hin, ob man ein solches Modell befürworten würde:
Wehrdienst und Zivildienst nur für Männer wird kritisch gesehen
Dem ersten Vorschlag, der Wiedereinführung der Wehrpflicht mit Ausweichmöglichkeit auf den Zivildienst nur für Männer, steht die junge Generation mehrheitlich kritisch gegenüber: 61 Prozent der jungen Erwachsenen und 64 Prozent der jungen Männer zwischen 16 und 35 Jahren lehnen diesen Vorschlag ab. Nur 29 Prozent würden solch ein Modell eher bzw. voll und ganz befürworten. Nicht überraschend stehen auch die Männer als direkt Betroffene dem Vorschlag stärker negativ gegenüber als Frauen: Gerade einmal 11 Prozent der Männer würden die Wiedereinführung der Wehrpflicht befürworten. Interessanterweise findet sich deutliche Zustimmung für die Wiedereinführung bei denjenigen Männern, die selbst schon einen Wehrdienst geleistet haben: 64 Prozent von ihnen unterstützen diesen Vorschlag. Hier scheint eindeutig bereits gesammelte Erfahrung das Meinungsbild zu beeinflussen. Im Parteienvergleich zeigt sich vor allem, dass die Sympathisanten der Linken diesen Vorschlag ablehnen. 51 Prozent sagen sie würden „auf gar keinen Fall“ eine Wiedereinführung der Wehrpflicht befürworten.
Zustimmung für verpflichtendes soziales Jahr bei Bundeswehr oder anderen Einrichtungen
Im Hinblick auf den zweiten Vorschlag, die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres für Männer und Frauen bei der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen, ist das Meinungsbild wesentlich ausgeglichener. Zwar stehen auch hier 48 Prozent der Befragten dem Vorschlag negativ gegenüber, aber andererseits würden auch 44 Prozent der jungen Generation solch ein Konzept eher bzw. voll und ganz befürworten. Gerade Männer stehen dem Vorschlag positiver gegenüber, was vermutlich auf den wahrgenommenen „Fairness-Aspekt“ durch die Gültigkeit für beide Geschlechter zurückzuführen ist. Der Vorschlag findet erneut sehr starken Widerspruch bei Sympathisanten der Linkspartei, dafür deutlichen Zuspruch von Anhängern der AfD: Rund ein Fünftel (26 Prozent) befürworten die Einführung eines Gesellschaftsjahres „voll und ganz“.
Zustimmung zu Gesellschaftsdienst ohne Bundeswehr
Der dritte Vorschlag beinhaltet das neue Konzept, das einige Politiker für die Stärkung des sozialen Engagements in Deutschland ohne Bezug auf die Bundeswehr vorgeschlagen haben: ein sogenannter „Gesellschaftsdienst“, ein verpflichtendes einjähriges soziales Jahr für alle jungen Deutschen. Auch dieser Vorschlag wird von der Generation eher positiv bewertet mit einer Befürwortungsquote von 45 Prozent. Hier zeigt sich, dass Frauen den Fokus auf soziales Engagement mit 47 Prozent eher zustimmen als Männer, von denen sich nur 43 Prozent für den Vorschlag aussprechen. Im Hinblick auf die politische Orientierung findet der Vorschlag vor allem bei Anhängern der SPD (47 Prozent), den Grünen (50 Prozent) und der FDP (49 Prozent) Zustimmung.
Welcher Vorschlag ist nun am besten? Für welche Variante würden sich die 16- bis 35-Jährigen entscheiden, wenn sie die Wahl hätten? Das Urteil fällt hier eindeutig aus: Mit 50 Prozent entscheidet sich die Mehrheit der jungen Erwachsenen deutlich für ein rein soziales Jahr. Immerhin gut ein Drittel (36 Prozent) befürwortet das Gesellschaftsjahr, während sich für die Wiedereinführung von Wehrpflicht bzw. Zivildienst nur für Männer gerade einmal 14 Prozent entscheiden. Frauen sprechen sich mit 59 Prozent deutlich für das soziale Jahr aus; Männer befürworten hingegen das reine soziale Jahr und das Gesellschaftsjahr für beide Geschlechter in etwa gleich stark.
Gründe gegen soziales Jahr: Nicht geeignet, zu verpflichtend
Auch wenn das verpflichtende soziale Jahr von allen drei Optionen am meisten Zustimmung erfährt, sehen die Befragten aber auch durchaus Gründe, die dagegen sprechen. Als Hauptgegenargument wird vor allem die Frage nach der generellen Eignung für solch einen Dienst angesehen. So sind 40 Prozent der Befragten der Ansicht, dass nicht jeder für einen sozialen Dienst geeignet ist. Des Weiteren wird auch der verpflichtende Charakter kritisiert: 38 Prozent der jungen Erwachsenen sind der Meinung, dass jeder frei entscheiden sollte, ob er oder sie sich überhaupt sozial engagieren möchte, während Rund ein Drittel bemängelt, dass der Zeitpunkt für das Engagement vorgegeben wird. Ein weiterer Grund gegen den Gesellschaftsdienst ist vor allem bei jüngeren Teilnehmern sehr dominant. Sie befürchten, dass ein verpflichtendes soziales Jahr den Lernfluss in der Ausbildung unterbricht. Zusätzliche Gründe gegen das soziale Jahr für alle jungen Deutschen ist auch die Befürchtung als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden und dass eventuell die Gehaltsverhandlungen für Sozialarbeiter dadurch noch schwieriger werden.
Es zeigt sich also, dass trotz der positiven Grundhaltung gegenüber einem verpflichtenden sozialen Jahr junge Erwachsene auch einige Nachteile darin sehen. Dies spiegelt sich zudem in der Beurteilung wider, wie der Staat soziales Engagement in der Gesellschaft am besten fördern könnte. Gerade einmal 16 Prozent der Befragten glauben, dass ein Pflicht-Engagement der richtige Weg ist, während 65 Prozent sich dafür aussprechen, dass der Staat zunächst einmal das Ehrenamt mehr unterstützen sollte. Interessant ist hierbei, dass gerade im Ehrenamt aktive Personen, welche die Missstände im Freiwilligendienst kennen, mit 76 Prozent besonders stark die Unterstützung des Ehrenamtes fordern. D.h. die Forderung nach mehr staatlicher Zuwendung für freiwillige Programme ist nicht von einer generellen Ablehnung eines verpflichtenden sozialen Dienstes getrieben, sondern eher als Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung von freiwilligem Engagement zu verstehen.
Insgesamt zeigt die Appinio-Studie deutlich, dass die Mehrheit der jungen Menschen einem verpflichtenden sozialen Jahr eher positiv gegenübersteht und es als Alternative zur Wiedereinführung der Wehrpflicht - egal ob nur für Männer oder für beide Geschlechter - deutlich favorisiert wird.
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Die wichtigsten Ergebnisse zur Studie hier nochmal zusammengefasst in der Appinio-Infografik:
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